Ist die App umweltfreundlicher als der Prospekt?

Organisation Two Sides fordert Rewe zur Stellungnahme auf

Rewe-Group-Vorstand Peter Maly (r.) hat den letzten Papier-Prospekt an Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller übergeben.
Rewe-Group-Vorstand Peter Maly (r.) hat den letzten Papier-Prospekt an Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller übergeben. (Bild: Rewe group)

Two Sides, eine globale Organisation, die sich für die Förderung der Nachhaltigkeit von Druck, Papier und Papierverpackungen einsetzt, hat sich nach eigenen Angaben schriftlich an Rewe gewandt, nachdem der Einzelhandelskonzern angekündigt hat, die Produktion seiner wöchentlichen Werbeflyer ab dem 1. Juli 2023 einzustellen. Darin wird Rewe aufgefordert, den tatsächlichen ökologischen Nutzen dieser Entscheidung zu belegen.

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In der Rewe-Pressemitteilung vom Juli 2022 begründete das Handelsunternehmen den Schritt weg vom Papier vor allem mit Auswirklungen auf die Umwelt, das Klima und die nachhaltige Nutzung von Ressourcen. 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2, 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen kWh Energie pro Jahr werden genannt.

Two Sides bezeichnet diese Behauptungen als “potenziell irreführend”, was ihre tatsächlichen Auswirkungen sowie die herangezogenen Statistiken betrifft. Die Organisation hat Rewe daher in einem Schreiben unter anderem darauf hingewiesen, dass in der besagten Pressemitteilung nicht erwähnt wird, dass digitale Medien ebenfalls messbare, nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Two Sides hat Rewe nach eigenen Angaben darum gebeten, die getroffenen Aussagen umfänglich zu belegen und die Hintergründe für die Fakten, die kommuniziert werden, offenzulegen. Two Sides beruft sich dabei auf “geltende Werbe-Kodizes”, nach denen sämtliche Werbe-Aussagen belegbar sein und der Wahrheit entsprechen müssten, damit Verbraucher nicht etwa getäuscht oder irregeführt würden.

Es sei ein Irrglaube, dass ein digitales Äquivalent zur Papierkommunikation keine Umweltauswirkungen habe, so Two Sides. Der Impact von Endgeräten wie PCs, Smartphones, Tablets oder anderen Geräten, die Informationen empfangen und versenden, sowie die für die Bereitstellung dieser Informationen erforderliche Infrastruktur (Server und Rechenzentren) könnten nicht ignoriert werden.

Darüber hinaus sei es durchaus denkbar, dass Verbraucher, die nun zur Nutzung digitaler Rewe-Kommunikation gebracht werden, versuchen, die Informationen (z.B. Coupons) auszudrucken. Dies könne einen weit größeren Umwelteinfluss haben, wenn dies auf dem eigenen Drucker zuhause geschehe. Entsprechend müsse jede Erläuterung zu den Hintergründen für die Abschaffung von Druck und Papier aufgrund von Umweltauswirkungen ebenso eine Bewertung des Umwelt-Impacts der digitalen Alternativen und des Nettonutzens enthalten.

Hoher Energieverbrauch durch digitale Technologien

Darüber hinaus führt Two Sides den Energieverbrauch digitaler Technologien an, welcher  jährlich um 9 % steige. Der Anteil digitaler Technologien an den globalen Treibhausgasemissionen (THG) habe sich zwischen 2013 und 2019 um die Hälfte erhöht, von 2,5 % auf 3,7 % der globalen Emissionen. Bleibt die Entwicklung ungebremst, könnte der IKT-Fußabdruck bis 2040 auf 14 % der globalen Emissionen ansteigen. Im Vergleich dazu gehören Papier- und Druckerzeugnisse mit 0,8 % zu den kleineren Treibhausgasemittenten.

Auch Rewes Aussage, dass bei der Herstellung der Flyer „1,1 Millionen Tonnen Wasser” verbraucht werden, ist laut Two Sides nicht korrekt. Zwar werde bei Herstellung Prozesswasser verwendet, doch dieses Wasser verschwinde nicht. “In Europa werden 87,3 % des Wassers aus Oberflächengewässern wie Flüssen und Seen entnommen, und es ist wichtig zu wissen, dass Entnahme nicht gleich Verbrauch ist. Rund 90 % des in der europäischen Papierindustrie verwendeten Wassers wird nach der Aufbereitung wieder in die Quelle zurückgeführt”, heißt es in der Mitteilung von Two Sides.

Wenn Marken über ihre Marketingstrategie entscheiden, sollten sie nicht nur die Wirksamkeit und die Kosten berücksichtigen, sondern auch die Art und Weise, wie ihre Kunden (Verbraucher) Informationen lesen und erhalten wollen. Eine kürzlich von der “Welt” durchgeführte Umfrage und Interviews mit anderen Einzelhändlern, insbesondere Aldi Süd, Edeka und Lidl, zeigten deutlich, dass die Verbraucher Mitteilungen in Papierform erhalten möchten.  Es sei wichtig, daran zu denken, dass nicht alle Menschen in der Gemeinschaft aus den verschiedensten Gründen Zugang zu digitaler Kommunikation hätten. Häufig seien dies die schwächsten und bedürftigsten Mitglieder der Gesellschaft.

Vielen Verbrauchern sei zudem bewusst, dass Unternehmen, die ihre Umstellung weg von Print hin zu einer digitalen Kommunikation mit Umweltvorteilen begründen, eigentlich nur Kosten einsparen möchten, so Two Sides.

Prospekt im Museum

Die Handelsgruppe Rewe verzichtet seit dem 1. Juli dieses Jahres komplett auf Prospektwerbung – aus den oben zitierten Gründen. Den Abschied vom Papierprospekt indes nutzte der Konzern durchaus für Marketingzwecke: In der #umdenkbar-Galerie in Berlin übergab Rewe-Group-Vorstand Peter Maly den letzten Rewe-Papier-Prospekt an Leif Miller, den Bundesgeschäftsführer des Nabu (Naturschutzbund Deutschland e.V.) und schickte damit den letzten Prospekt buchstäblich ins Museum.

„Viele finden unsere Entscheidung riskant. Der Papier-Prospekt ist schließlich seit Jahrzehnten das mit Abstand wichtigste Werbemittel der Branche. Bei REWE gehören gedruckte Angebote seit den 30er-Jahren zur Unternehmensgeschichte“, wird Peter Maly in der hauseigenen Unternehmensmitteilung zitiert. „Wir können uns beim Thema Nachhaltigkeit aber nur verbessern, wenn wir umdenken, Altes hinterfragen und Mut beweisen. Mit unserem zukunftsgerichteten Mix aus digitalen Angeboten, TV und Anzeigen erreichen wir unsere Kunden nicht nur zielgenauer, sondern auch nachhaltiger.“