»Vorwärtsdenken« in der Druckindustrie (Print 4.0)

Trenne nie Geschäftsfeld- und Digitalstrategie!

Druckindustrie: Die Güte einer Systempartnerschaft bemisst sich nicht in erster Linie in Preisen und Lieferbedingungen. Viel entscheidender ist die Problemlösungskompetenz des Dienstleisters und das gegenseitige Vertrauen der Partner.
Die Güte einer Systempartnerschaft bemisst sich nicht in erster Linie in Preisen und Lieferbedingungen. Viel entscheidender ist die Problemlösungskompetenz des Dienstleisters und das gegenseitige Vertrauen der Partner. (Bild: Pixabay)


Welche Produkte und Services werden Druck- und Mediendienstleister zukünftig anbieten? Egal ob als Spezialist für kundenindividuelle Printprodukte oder Systempartner innerhalb der Wertschöpfungsprozesskette von Industrieunternehmen aktiv: Geschäfts- und Digitalstrategie werden einander jedenfalls stets bedingen… Doch um überhaupt dorthin zu kommen, müssen zunächst zahlreiche Herausforderungen überwunden werden.

 

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Druckindustrie: Herausforderung im Bereich »Geschäftsfelder & Produkte«

Praktisch alle zukünftigen Erlösmodelle der Druckindustrie basieren unter anderem darauf, dass größere Datenmengen zwischen den beteiligten Partnern ausgetauscht und immer mehr Aktivitäten in die Cloud verlagert werden. Hierfür ist eine auf das Geschäftsmodell ausgerichtete betriebsinterne Netzwerkinfrastruktur zwingend erforderlich.

 

  • Zögerlicher Breitbandausbau hemmt den Ge­schäftserfolg:
    Daraus ergibt sich jedoch auch eine Aufgabe für die Politik: Ein zügiger Ausbau des Breitbandnetzes, auch abseits der Ballungszentren, ist für Druck- und Mediendienstleister und ihre Kunden eine wesentliche Voraussetzung für den Geschäftserfolg. Schwache Datenübertragungsraten wirken heute nicht selten hemmend. Absurderweise wird so ein wesentlicher Vorteil der Digitalisierung, nämlich weitgehend ortsunabhängig zu produzieren und damit im ländlichen Raum Arbeitsplätze zu schaffen und der voranschreitenden Urbanisierung entgegenzuwirken, durch den zögerlichen Ausbau der Datenleitungen verspielt. Druck- und Mediendienstleister stehen vor der Herausforderung, diesbezüglich ihre Interessen bei den politi­schen Entscheidungsträgern vor Ort so zu artikulieren, dass sie auch zur Kenntnis genommen und in Maßnahmen umgesetzt werden. Unterstützung erhalten sie dabei durch ihre Verbände.

 

  • Kunden-Know-how gefragt:
    Das Vordringen in Wertschöpfungsketten des Kunden bedeutet ein unternehmerisches Risiko. Der Dienstleister muss die Rolle kennen, die seine Produkte und Dienstleistungen in den Prozessen des Kunden erfüllen, und sie im Detail durchschauen. Dafür muss er letztlich die Kundenprozesse selbst verstehen. Nur dann ist er in der Lage, seine Erzeugnisse bei Bedarf reibungslos in die Produktions- oder Logistikkette des Kunden einzuschleusen und sicherzustellen, dass sie dort die ihnen zugedachte Funktion fehlerfrei erfüllen. Wer beispielsweise Bauelemente oder Tapeten bedruckt, wird sich auch mit Bau- oder Brandschutzvorschriften auseinandersetzen müssen. Gerade bei Nischenstrategien stellen sich Gewährleistungs- und Haftungsfragen oftmals in verschärfter Form.
    Speziell Druck- und Mediendienstleistungen mit hohem Individualisierungsgrad verlangen eine ausgezeichnete Expertise für das Geschäft des Kunden. Selbst wenn mit fortschreitender Automatisierung die Stückkosten individualisierter Druckprodukte sinken, wird ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Kunden nur dann gegeben sein, wenn dem mit der Individualisierung einhergehenden Mehraufwand für die Datengewinnung und -aufbereitung, Produktion und Logistik ein echter Mehrwert gegenübersteht. Um dieses Potenzial für den Kunden zu erkennen, ihm geeignete Individualisierungskonzepte anzubieten und ihn dabei von lästigen Aufgaben zu entlasten, bedarf es eines tiefgreifenden Verständnisses der Kundenprozesse.

 

  • Investitionen in Systempartnerschaften:
    Oft sind deshalb erhebliche Anfangsinvestitionen er­forderlich, um Wissen über Kundenprozesse aufzubauen, adäquate eigene Produktions- und Dienstleistungsprozesse einzurichten und mit denen des Kunden zu verbinden. Das schließt den Wandel der eigenen Unternehmenskultur mit ein, wo beispielsweise die Abkehr vom tradierten »Silodenken« gefordert ist. Nicht selten bedarf es einer spezifischen Hard- und Software-Infrastruktur und speziell geschulten Personals. Entscheidend ist aber auch das zu erringende Vertrauen des Kunden, wichtige Teile seiner Wertschöpfungskette in die Verantwortung der Druckerei zu übergeben.
    Derartige Formen der Zusammenarbeit müssen oft erst gelernt und über einen längeren Zeitraum hinweg allmählich entwickelt werden. Auch wenn das zunächst einen langen Atem erfordert, bestehen gute Chancen, auf diese Weise langjährig stabile Geschäftsbeziehungen zu etablieren, die sich für beide Partner als vorteilhaft erweisen.

 

PDF-Download: Deutscher Drucker 11/2019

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  • Partnerschaften erfordern eine neue Form der Kommunikation:
    Um derartige Systempartnerschaften anzubahnen, muss allerdings auf ganz anderer Ebene kommuniziert werden, als dies bei traditionellen Kunden-Lieferanten-Beziehungen der Druckereien der Fall ist. Der bloße Lieferant eines Druckprodukts wird von der Einkaufsabteilung des Kunden als Lieferant geführt und behandelt – und dementsprechend hauptsächlich an Preisen und Lieferbedingungen gemessen.
    Vertikale strategische Partnerschaften werden jedoch häufig auf der Geschäftsführungsebene verabredet bzw. gemeinsam mit Fachabteilungen des Kunden etabliert. Es gilt also für den Vertrieb, die relevanten Entscheider bzw. Interessenten zu identifizieren und anzusprechen, Lösungskonzepte vorzustellen und überzeugende Kooperations-ideen zu präsentieren. Dazu benötigt er die Fähigkeit, wesentliche Bedürfnisse des Kunden zu erkennen bzw. zu wecken. Als Bindeglied zwischen dem Kunden und dem eigenen Unternehmen muss er sowohl über das erforderliche Prozess-Know-how verfügen als auch mit ausreichend Handlungsspielraum ausgestattet sein, um dafür sorgen zu können, dass der Kunde ein passendes Dienstleistungspaket erhält.
    Die Güte der Partnerschaft bemisst sich dann nicht mehr in erster Linie in Preisen und Lieferbedingungen. Viel entscheidender ist die dargebotene Problemlösungskompetenz des Dienstleisters und das gegenseitige Vertrauen der Partner bei der Anbahnung, Realisierung und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit. Systempartnerschaften bleiben für den Kunden nur dann dauerhaft attraktiv, wenn das Lösungskonzept mit den sich ändernden Anforderungen Schritt hält. Auch wenn dank digitaler Technologien viele Kundenprozesse automatisiert ablaufen, bleibt die persönliche Kommunikation somit eine wesentliche Voraussetzung für eine stabile Partnerschaft.

 

  • Neue Konkurrenten:
    Die Attraktivität des Ge­schäftsmodells »Systempartnerschaft« ist allerdings geeignet, Konkurrenten auf den Plan zu rufen, die Druck- und Medienunternehmen bisher »nicht auf dem Zettel« hatten. Je stärker bei der Dienstleistung das eigentliche Druckprodukt in den Hintergrund tritt und je einfacher der zugrundeliegende Druckprozess zu beherrschen ist, desto interessanter kann es für branchenfremde Unternehmen sein, Druckdienstleistungen anzubieten. Solche Unternehmen können bereits etabliert sein und über Expertise aus einer anderen Branche verfügen, die zum Er­bringen des Leistungsangebots ebenfalls benötigt wird, oder es handelt sich um Start-ups. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Gründung der Glasdruckmanu­faktur in Langenselbold durch zwei IT-/Automatisierungsexperten und einen Glaser – ohne einen Druckfachmann. Wer zuerst die Nische mit einem attraktiven Leistungsangebot besetzt und dieses gut vermarktet, hat im Wettbewerb die Nase vorn.

 

  • Risiken von Nischen- und Diversifizierungsstrategien:
    Neben Chancen zur Differenzierung bringt die Spezialisierung natürlich auch Risiken mit sich, etwa auf die falsche Differenzierungsstrategie zu setzen und sich in ein mittel- oder längerfristig unattraktives Marktsegment zu begeben. Da auch Zielkunden und Zielmärkte der digitalen Transformation unterliegen, verschärft sich dieses Risiko, weil Nischen sich rasch entwickeln und ein angezieltes Bedarfsfeld ebenso schnell wieder verschwinden kann. Die Fähigkeit, sich in die Lage der Kunden hineinzuversetzen und ggf. dessen Zukunft mitzugestalten, besitzt also einen deutlich höheren Stellenwert als beim traditio­nellen Vertriebsgeschäft der Druckindustrie.
    Während sich Vertriebsreichweite und Sortimentsbreite beispielsweise durch die Vermarktung über ein mit Partnern betriebenes Web-to-Print-Portal steigern lassen, ergeben sich damit für das Auftrags- und Wartungsmanagement neue He­rausforderungen. Hierfür müssen geeignete Planungslösungen eingeführt und laufend optimiert werden. [8920]

 

Sind Sie gerade dabei, Ihre eigene individuelle Print-4.0-Strategie zu erarbeiten? Dann hilft Ihnen mit Sicherheit unser Artikel-Sechsteiler im Deutschen Drucker weiter. Die Inhalte der Serie basieren komplett auf der Publikation »Druckindustrie 4.0« von Harry Belz (BVDM) und Wilhelm Zacharias (BVDM) sowie Wolfgang Beinhauer vom Fraunhofer IAO.

Lesen Sie Teil 2 der Serie im aktuell erschienenen Heft DD11/2019.
Die Gesamtpublikation des BVDM finden Sie HIER (nur für Mitglieder verfügbar).

 

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