Ulrich Vollmer, Geschäftsführer des Buchgroßhandels Libri GmbH, und Karsten Kaufmann, Leiter Print on Demand Services bei Libri, sprachen mit print.de über die Chancen von Print on Demand. (Bild: Libri)
Buchgroßhändler Libri hat Print-on-Demand zum strategischen Geschäftsfeld erklärt und investiert weiter in digitale Produktionskapazitäten. Im Gespräch erklären Geschäftsführer Ulrich Vollmer und der Leiter Print on Demand Services, Karsten Kaufmann, wie die nahtlose Integration von Druck und Logistik Maßstäbe bei Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit setzt.
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print.de: Libri hat Print-on-Demand zu einem Kerngeschäftsfeld erklärt und die Produktion in Bad Hersfeld vom Dienstleister Xerox übernommen. Warum ist Print-on-Demand so wichtig für Ihr Unternehmen – und welche Weichen haben Sie dafür gestellt? Ulrich Vollmer: Print-on-Demand ist für uns tatsächlich schon seit Ende der 1990er-Jahre relevant – aber jetzt wird es deutlich sichtbarer. Als wir um das Jahr 2000 unseren neuen Logistikbetrieb in Bad Hersfeld in Betrieb nahmen, war PoD bereits eingeplant, wenn auch in deutlich kleinerem Maßstab. Wir waren in Europa unter den Ersten, die mit Selfpublishing im Print-on-Demand-Umfeld an den Markt gegangen sind. Die Logik dahinter war und ist: Wir bewegen jährlich nahezu 100 Millionen Bücher durch unsere Logistik – das ist ein enormes Potenzial, gerade wenn man Wertschöpfungsketten vereinfachen will.
Einen entscheidenden Test haben wir Mitte der 2010er-Jahre gemacht: Wir haben sehr long-tail-lastige Artikel ans Lager genommen und gemessen, was passiert, wenn diese Titel quasi immer verfügbar sind. Das Ergebnis: Diese Artikel haben sich sofort im Schnitt um 20 Prozent mehr verkauft. Nur durch die sofortige Verfügbarkeit. Das war der Beweis: Verfügbarkeit schafft Absatz.
print.de:Welche Vision haben Sie für die Zukunft? Vollmer: Wir wollen das Volumen in den nächsten Jahren vervierfachen. Nicht alle Produkte sind Print-on-Demand-fähig, aber das, was PoD-fähig ist, wollen wir zu großen Teilen zu großen Teilen adressieren. Das würde bedeuten, dass ein gutes Viertel unseres Gesamtabsatzes am Standort Print-on-Demand produziert wird. Heute ist die Produktion komplett in die Logistik integriert – Drucke erreichen innerhalb von etwa zwei Stunden nach Bestellung die Logistik. Das ist meines Wissens weltweit einzigartig und gelingt nur, weil wir Produktions- und Logistikprozesse vollständig integriert haben.
print.de: Was bedeutet diese Integration konkret? Vollmer: Früher haben wir in Norderstedt bei Books on Demand (BoD) über Xerox als Dienstleister produziert – BoD ist übrigens ein Unternehmen im Libri-Verbund – , dann wurden die Bücher per LKW nach Bad Hersfeld gefahren. Dort gingen sie über den Wareneingang, wurden eingelagert und dann kommissioniert. Das kostete im Schnitt drei Tage.
Heute drucken wir direkt am Logistikstandort in Bad Hersfeld. Die fertigen Bücher kommen aus dem Dreischneider, werden direkt in unseren Taschensorter überführt – bekannt aus der Bekleidungsindustrie – und dann mit den Buchbestellungen zusammengeführt, die parallel mit Lagerware kommissioniert wurden. Das PoD-Buch ist immer das letzte, was in die Versandwanne kommt. So schaffen wir schaffen wir Raum für eine maximlae Produktionszeit und minimale Gesamtdurchlaufzeit.
Der entscheidende Unterschied zu vielen anderen Anbietern: Wir verzichten komplett auf klassische Wareneingangs- und Warenausgangsprozesse. Andere legen das Produkt nach der Produktion ins Lager und nehmen es mit dem Kundenauftrag wieder raus – da verliert man locker einen halben bis ganzen Tag. Wir sparen uns das komplett.
DD: Und wie geht es danach weiter? Karsten Kaufmann: Wir kaufen für unseren Auslieferungsprozess über die hauseigene Spedition BOOXpress Langstrecken-LKW- und Umschlagpunktleistungen ein – es gibt etwa 20 Umschlagspunkte in Deutschland. Von dort starten nachts Sprinter mit unseren nachhaltigen Mehrwegwannen zur Warenauslieferung. Die Fahrer schließen mit Schlüsseln die Buchhandlung auf, stellen die Ware vorsortiert ins Regal und nehmen Retouren mit. Ein gigantischer Prozess.
print.de: Sie haben jetzt neu in vier Canon varioPrint iX3200 investiert. Wie sind Sie ingesamt im Druck aufgestellt?
Kaufmann: Wir arbeiten heute im Druck mit zwei Lieferanten – einmal HP für den Rolleninkjetdruck und dann Canon im Bereich Bogeninkjet. Die Linien für den Rolleninkjet haben wir bereits im vergangenen Jahr installiert. In diesem Jahr haben wir dann den Cutsheet-Bereich modernisiert und insgesamt
Im Rolleninkjetdruck bei Libri kommen HP-Systeme zum Einsatz. Druck und Weiterverarbeitung erfolgen inline bis zum vorverklebten Buchblock. (Bild: Libri/Philipp Bögle)
14 Bestandssysteme durch die vier Canon-Maschinen ersetzt. Ziel war, alles auf Inkjet-Technologie zu bringen, da wir überzeugt sind, dass Inkjet die Zukunftstechnologie ist: Das Papier lässt sich besser recyceln und generell ist die Technologie umweltfreundlicher: Wir haben keine Ozonemissionen mehr wie beim Toner und die Systeme sind deutlich energieeffizienter. Hinzu kommt, dass die Canon-Maschinen sehr einfach zu bedienen und so konzipiert sind, dass man kurzfristig auch Mitarbeiter ohne Druckausbildung anlernen kann. Vollmer: Hinzu kommt: Diese vier Maschinen haben heute noch mehr Outputkapazität als die 14 Drucker vorher. Das zeigt, welch enormer Entwicklungssprung da passiert ist. Canon verspricht, dass man drei Maschinen mit einer Person bedienen kann – zwei haben wir heute schon geschafft. Die Produktivität pro Mitarbeiter macht wirklich einen Sprung.
print.de: Wie sieht Ihr Setup in der Weiterverarbeitung aus? Vollmer: Wir arbeiten bei den Rollenmaschinen inline bis zum vorverklebten Buchblock. Cover und Buchblock werden dann in einem separaten Schritt verklebt und geschnitten. Die Weiterverarbeitung kommt aus der Müller-Martini-Familie, also Hunkeler und Müller Martini, vom InfiniTrim über Plow-Folder bis zur Fly-Folder-Familie. Nicht alle Linien sind gleich ausgestattet – wir brauchen einige, die sehr flexibel sind und schnell umschalten, und andere, die immer gleichartige Produkte machen, dafür aber schneller laufen.
Die Hardcover-Fertigung ist noch weniger automatisiert als beim Softcover, aber auch hier haben wir gemeinsam mit Maschinenherstellern Entwicklungsschritte angestoßen. Die nächste große Thematik, an der wir arbeiten werden, ist die Automatisierung der Hardcover-Herstellung.
print.de: Welche Ausstattungsvarianten können Sie im PoD anbieten? Kaufmann: Print-on-Demand ist immer ein Stück weit Standardisierung – wir können nicht alles tun, was ein klassischer Offsetdrucker kann. Aber wir haben eine sehr große Ausstattungsvielfalt: freie Formatwahl, verschiedene Papiere – jeweils in 80, 90, 120 Gramm, reinweiß, cremeweiß, matt, brillant. Insgesamt arbeiten wir mit etwa sieben Papiersorten.
Bei der Bindung sind wir sehr gut aufgestellt: klassische Paperbacks, Hardcover in Auflage eins mit Fadenheftung, Ringbücher, Booklets. Wir bieten verschiedene Laminate an – matt, glänzend, strukturgeprägt. Wir arbeiten mit Lesebändchen, Schutzumschlägen, farbigem Evalin darunter. Hinzu kommt auch noch die Herstellung von Kalendern. Das ist für PoD eine Angebotsbreite, mit der wir uns nicht verstecken müssen.
print.de: Und was geht noch nicht? Kaufmann: Digitaler Farbschnitt ist in Auflage eins noch schwierig – man braucht in der Regel zwei bis drei Exemplare, bis die Maschine eingestellt ist. Wir sourcen das aktuell für ausgewählte Titel aus, hauptsächlich für Bestseller-Potenzial im Selfpublishing-Bereich. Geprägte Umschläge machen wir nicht, Sonderfarben oder Spotlack auch nicht. Klappenbroschur schauen wir uns an – da ist immer die Frage, wie groß die Nachfrage ist und welche technischen Lösungen der Markt bietet.
Vollmer: Das Gute ist: Die Maschinenhersteller haben dieses Marktsegment für sich entdeckt. Wir sind regelmäßig mit Herstellern wie Müller Martini, Canon oder HP im Dialog für Forschung und Entwicklung. Mit der Diamant haben wir sehr früh eine Einhängemaschine für Book-of-One aufgebaut. Solche Innovationsschritte wollen wir weiter forcieren.
print.de: Wie sieht Ihre Personalstruktur aus? Vollmer: Im Gesamtbetrieb mit Overhead und Technik – wir machen Wartung und Pflege der Maschinen zu großen Teilen inhouse – sind es etwa 110 Mitarbeitende im Zweischichtbetrieb. In der Spitzensaison kommt eine weitere Schicht mit bis zu 25 Mitarbeitenden hinzu. Kaufmann: Aktuell sind wir noch am Lernen. Als wir vor gut anderthalb Jahren die Produktion selbst übernommen haben, hatten wir eigentlich gar kein Druckerwissen im Haus. Aber unser Team hat eine beeindruckende Lernkurve hingelegt. Vielleicht war es sogar von Vorteil, nicht so viel altes Denken mitzubringen, sondern unbedarft ohne Offset-Vorkenntnisse an den Digitaldruck heranzugehen.
Vollmer: Der Druck ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Das Produkt, das wir verkaufen, ist ist unendliche Lieferbarkeit und dauerhafte Verfügbarkeit. Deshalb vergleichen wir uns auch nicht über den Druckpreis – wer unser Produkt nutzt, kauft Lieferfähigkeit und ein zum Offset gleichwertiges Produkt und damit das Versprechen, seine Leser nicht zu enttäuschen. Im Vergleich zu normalen Prozessen sparen wir etwa zwei Wochen ein. Bei Importware sind es bis zu vier Wochen.
DD: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit? Vollmer: Eine zentrale. Viele unserer Buchhandelskunden fragen nach dem CO₂-Fußabdruck. Libri hat sich der CO₂-Neutralität verschrieben – und dabei spielt Print-on-Demand eine entscheidnede Rolle. Vergleichen Sie nur einen US-Verlag, von dem wir eine Ausgabe per Flugzeug importieren, mit einem on demand vor Ort gedruckten Buch – der Unterschied im Fußabdruck ist enorm. Sie produzieren komplett bedarfsgesteuert, haben keine Überproduktion sowie nahezu keine Remission und Makulatur – und generieren trotzdem mehr Umsatz durch dauerhafte Verfügbarkeit.
Kaufmann: Wir setzen durchgängig FSC-Papiere ein, produzieren zu 100 Prozent mit Ökostrom und zum großen Teil mit unserer eigenen Photovoltaikanlage auf dem Dach in Bad Hersfeld – über zwei Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Die neuen Drucksysteme verbrauchen viel weniger Strom als die alten Tonermaschinen. Wir haben auch das Einschweißen von Hardcover-Büchern eingestellt – Tests zeigten keinen Einfluss auf Remittenden, und wir sparen massenhaft Plastikfolie.
Dazu kommt unsere neue Produktionssoftware, die an vielen Stellen hilft, Makulatur zu vermeiden: Abschnitte werden reduziert, Fehldrucke minimiert, gleichartige Produkte automatisch zu Losen zusammengefasst. Der Prozess läuft vollautomatisch und wenn ein Produkt nicht beim nächsten Produktionsschritt angekommen ist oder einen Fehler hat, wird der Nachdruck vollautomatisch oder per Barcode-Scan angestoßen.
DD: Für welche Titel eignet sich PoD besonders? Vollmer: Grundsätzlich überall, wenn man ehrlich ist. Erstauflagen mit kleiner Auflage oder hohem Auflagenrisiko, Backlist-Titel, Wiederauflagen vergriffener Titel, Rezensionsexemplare. Manche Verlage nutzen PoD zur Sicherung von Rechten – wenn ein Titel nicht mehr lieferbar ist, fallen die Rechte an den Autor zurück. Es geht auch um Schließung von Angebotslücken: Wenn ein Autor beispielsweise den Literaturnobelpreis gewinnt, entsteht sofort Nachfrage auf die komplette Backlist. Wenn diese Titel lieferbar sind, kann ich Umsatz generieren – kann ich diese Nachfrage nicht direkt bedienen, flaut sie ab – der Umsatz ist weg. Das gilt auch für Bücher, die urplötzlich nachgefragt werden, weil sie beispielsweise über BookTok gehypt werden. Wie gesagt: Der entscheidende Satz, der bei PoD gilt, lautet: Verfügbarkeit schafft Absatz. Das bestätigt sich immer wieder.
DD: Wie sehen Sie die weitere Marktentwicklung von PoD? Vollmer: Der Markt wächst seit vielen Jahren sehr kontinuierlich. Jedes Jahr kommen rund 60.000 neue Titel auf den Markt – das Angebot wird immer größer, und dadurch sinken die durchschnittlichen Druckauflagen im Auflagendruck seit Jahren. Irgendwann sind die Auflagen nicht mehr so unterschiedlich, dass im Vergleich der reinen Druckkosten PoD wirtschaftlicher wird. Dazu kommen deutlich gestiegene Kosten bei Verlagsauslieferungen in den letzten Jahren – das hat merklich zu einem Shift geführt.
Die Investitionen, die aktuell im Markt – nicht nur von uns – getätigt werden, sind ein guter Indikator: Keiner investiert in einen toten Bereich. Wir rechnen bei Libri mit einer Vervielfachung der Produktionsmenge. In den letzten zwölf Wochen hatten wir fast 40 Prozent mehr Volumen als im vergangenen Jahr. Die letzte Woche war die stärkste Woche dieses Jahres – mehr als in der stärksten Woche des Weihnachtsgeschäftes 2024. Und das Weihnachtsgeschäft beginnt bei uns meist erst Mitte Oktober. Das sagt schon etwas aus.
DD: Gibt es Ihrerseits auch internationale Expansionspläne? Vollmer: Wir sind mit PoD heute schon international unterwegs: Deutschland, Österreich, Schweiz, aber auch Frankreich, Nordics, Spanien, Tschechien, Polen. Wir distribuieren über lokale Großhändler, verkaufen aber auch direkt an Einzelhändler – in Frankreich zum Beispiel oder in Holland. Kurzfristig planen wir keine weitere PoD-Produktion außerhalb von Bad Hersfeld. Wir fokussieren uns auf das immense Wachstum vor Ort. In den letzten zwölf Wochen haben wir unser Setup mit den Canon-Maschinen erst richtig fertiggestellt – und seitdem geht die Post ab.
Über die Libri-Gruppe
Die Hamburger Libri-Gruppe ist einer der führenden Großhändler für Bücher und andere Medienprodukte in Deutschland (Barsortiment) und Europa. Mit seinen Dienstleistungen sichert Libri die kurzfristige Verfügbarkeit nahezu aller deutschsprachigen und vieler internationalen Buchpublikationen in jeder Buchhandlung, stationär und online. Zur Libri-Gruppe gehören die Libri GmbH (Buchgroßhandel), die Spedition BOOXpress GmbH, die Libri.Plureos GmbH, als führender Spezialist im Bereich Print-on-Demand, der Self-Publishing-Dienstleister Books on Demand GmbH sowie Beteiligungen an der Barsortiment Könemann Vertriebs GmbH, der Internetplattform genialokal.de und der Schweizer Buchzentrum AG.