Der aktuelle Insider-Kommentar

Haben große Typografie-Konferenzen noch eine Zukunft?

Typografie: Annie Atkins aus Dublin auf der interdisziplinären Konferenz see14: Ihr Grafikdesign für den Kinofilm »Grand Budapest Hotel« bekam den Oscar für das beste Produktdesign.
Annie Atkins aus Dublin auf der interdisziplinären Konferenz see14: Ihr Grafikdesign für den Kinofilm »Grand Budapest Hotel« bekam den Oscar für das beste Produktdesign.(Bild: Rui Camilo)


Die Typo Berlin war zwanzig Jahre lang das Flaggschiff unter den Design-Konferenzen in Deutschland und versammelte Teilnehmer aus ganz Europa. 2018 fand sie vorerst zum letzten Mal statt, eine Wiedergeburt ist schwer vorstellbar. Die Typoszene aber bleibt lebendig, es gibt kleinere Alternativen. Ist die Zeit der »überdimensionierten« Design-Konferenzen – auch aus wirtschaftlichen Gründen – vorbei?

 

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Investition in die Zukunft?

Aus gegebenem Anlass – denn 2019 gibt es keine Typo Berlin – sei ein Blick zurück zu den Wurzeln der Konferenz erlaubt. Üblicherweise sind es einzelne Menschen, die Neues initiieren und es mit Hilfe engagierter finanzstarker Part­ner umsetzen. Wie beispielsweise Neville Brody. In den 1990ern brachte er zusammen mit John Critchley und Jon Wozencroft für Fontshop, das 1989 von Joan und Erik Spiekermann gegründete Versandhaus für Satzschriften, viermal jährlich eine Kollektion experimenteller Typografie heraus. Das Ganze nannte sich Fuse und mündete 1994 in die erste Fuse-Konferenz in London.

Ein Jahr später richtete Fontshop in Berlin die Fuse95 aus, woraus 1996 die Typo Berlin wurde – Beginn einer Erfolgsgeschichte. Als leidenschaftlicher Ideengeber muss hier Erik Spiekermann genannt sein, der mit einem eher kleinen Team (allen voran Bernd »Benno« Rudolf), aber mit weit gespanntem Netzwerk, Jahr für Jahr ein wunderbar vielseitiges Programm auf die Beine stellte. Der die Großen des Grafik- und Typedesign ebenso auf die Bühne holte wie Querdenker aus ganz anderen Bereichen. Auf ihn folgte als Programmdirektor Jürgen Siebert, der mit immer neuen Formaten innerhalb der Konferenz auf Trends und Strömungen der Branche reagierte.

Manchmal reicht die Leidenschaft einiger we­niger allein nicht aus. Die Führung der börsennotierten amerikanischen Monotype Imaging Holdings Inc., die 2006 die Linotype GmbH mit Sitz in Bad Homburg und dann 2014 mit Fontshop auch die Typo Berlin übernahm, strich aus Rentabilitätsgründen Europas größte Design-Konferenz aus dem Veranstaltungskalender. Übrig geblieben sind dank des rührigen Marketingchefs Jürgen Siebert die Brand Days, lukrative Ein-Tages-Events mit dem Fo­kus auf Markenkommunikation, die europaweit in verschiedenen Städten und mit immer neuen Auftraggeber-Gestalter-Paaren stattfinden. Das Format feierte als Brand Talks schon auf der Typo Berlin 2017 erste Erfolge. Prominentes Vorbild mag die CXI-Konferenz sein, die Robert Paulmann 2009 an der FH Mainz ins Leben gerufen hat; seit 2014 findet sie an der FH Biele­feld statt.

Niemand kann etwas gegen Geschäftssinn haben. Firmen – und Menschen – müssen Geld verdienen. Etwas Wehmut beschleicht einen dennoch. Konferenzen wie die Typo Berlin haben immer wieder auch die gesellschaftliche Verantwortung gefeiert. Nun wurde eine traditionsreiche Veranstaltung eingestellt, weil sie sich nicht mehr »rechnet«. Wo bleibt die Investition in die Zukunft der Branche, in den kreativen Nachwuchs, wenn nur noch die Rendite zählt?

Vielleicht sind längst schon kleinere, regionale Formate eine ernst zu nehmende Konkurrenz geworden? Vielleicht also ist die Zeit der überdimensionierten Design-Konferenzen einfach vorbei??? [8799]

… fragt sich Silvia Werfel

 

Typografie: Silvia Werfel.
Silvia Werfel

 

 

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